Die Entwicklung der Bindung und ihre Auswirkungen
- Sandra

- 4. Mai
- 3 Min. Lesezeit
Die Bindung zwischen einem Kind und seinen Bezugspersonen, meist den Eltern, ist ein unsichtbares Band, das für die gesunde emotionale, soziale und kognitive Entwicklung entscheidend ist. Sie gibt dem Kind Halt, Sicherheit und Vertrauen – Grundlagen, die ein Leben lang wirken.
Wie Bindung entsteht – Die vier Phasen im ersten Lebensjahr
Die Bindung eines Kindes entwickelt sich laut Grossmann & Grossmann (2015) nicht über Nacht. Sie folgt einem natürlichen Prozess, der in vier Phasen verläuft:
Phase 1: Vorbindungsphase (0–3 Monate)
In den ersten Lebensmonaten reagiert dein Baby auf alle Menschen in seiner Umgebung. Es sucht Blickkontakt, schreit oder lächelt, um Aufmerksamkeit zu bekommen – egal, ob von bekannten oder unbekannten Personen. Eine spezifische Bindung hat sich in dieser Phase noch nicht entwickelt.
Phase 2: Entstehung der Bindung (ab ca. 3 Monaten)
Jetzt beginnt dein Baby, zwischen Menschen zu unterscheiden. Es bevorzugt vertraute Personen, oft die Mutter oder den Vater, die als Hauptbezugspersonen auftreten.
Phase 3: Eindeutige Bindung (ab ca. 6 Monaten)
Dein Baby hat nun eine feste Bindung zu seiner Hauptbezugsperson aufgebaut. Diese wird zur „sicheren Basis“, von der aus das Kind seine Umwelt erkundet. Gleichzeitig zeigt sich in dieser Phase das sogenannte „Fremdeln“ – ein Zeichen für die beginnende Bindungsentwicklung.
Phase 4: Zielkorrigierte Partnerschaft (im weiteren Verlauf der frühen Kindheit)
Im weiteren Verlauf der frühen Kindheit entwickelt dein Kind Bindungen zu weiteren vertrauten Personen. Es wird unabhängiger und akzeptiert auch Trost von anderen. Trotzdem bleibt die Hauptbezugsperson bevorzugt, wenn sie anwesend ist. Wann genau diese Phase beginnt, ist individuell verschieden und hängt von der Entwicklung des Kindes ab.
Diese Entwicklung wird vor allem durch Zeit und Nähe ermöglicht. Es sind die Menschen, die regelmäßig für das Kind da sind, auf die Signale reagieren und ihm Sicherheit geben, an die sich ein Kind bindet.

Bindungsverhalten und Explorationsverhalten
Von Geburt an besitzt jedes Baby ein angeborenes Bindungsverhalten. Dieses Verhalten wird aktiviert, wenn das Kind Angst hat oder unsicher ist. Es sucht dann Schutz und Nähe bei seiner Bezugsperson – seiner „sicheren Basis“. Dieses Vertrauen gibt dem Baby die Stärke, sich in sicheren Momenten auf das Erkunden seiner Umwelt einzulassen.
Das sogenannte Explorationsverhalten tritt auf, wenn das Kind sich sicher fühlt. Es ist der Schlüssel zur Entdeckung seiner Welt: Greifen, Krabbeln, Beobachten – all das wird möglich, weil das Kind weiß, dass es im Zweifelsfall jederzeit zu seiner Bezugsperson zurückkehren kann (vgl. Bowlby, 2018, S. 9 f.).
Die Qualität der Bindung – Warum Feinfühligkeit entscheidend ist
Ob ein Kind eine sichere oder unsichere Bindung entwickelt, hängt stark von der Feinfühligkeit der Bezugsperson ab. Das bedeutet:
Die Signale des Kindes wahrnehmen (z. B. Weinen oder Blickkontakt),
diese richtig interpretieren (Hat es Hunger? Ist es müde?),
und schnell sowie angemessen darauf reagieren (z. B. beruhigen oder füttern).
Wenn Eltern sensibel und liebevoll auf die Bedürfnisse ihres Kindes eingehen, fördern sie eine sichere Bindung, die dem Kind lebenslang zugutekommt (vgl. Remsperger, Zit. n. Hörmann, 2014, S. 8).
Die Auswirkungen der Bindungsqualität auf das Leben (Bowlby, 2018)
Sichere Bindung:
Kinder mit einer sicheren Bindung haben ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Bindungs- und Explorationsverhalten. Sie entwickeln oft ein starkes Selbstbewusstsein, sind sozial kompetent und emotional stabil. Auch spätere Beziehungen profitieren von dieser Grundlage.
Unsichere Bindung:
Eine unsichere Bindung entsteht, wenn Eltern nicht konsistent oder feinfühlig auf die Bedürfnisse ihres Kindes reagieren. Betroffene Kinder können später Schwierigkeiten mit Vertrauen, Selbstwertgefühl oder sozialen Beziehungen haben.
Desorganisierte Bindung:
Diese Form der Bindung entsteht meist in belastenden oder traumatischen Umfeldern. Sie zeigt sich durch widersprüchliches Verhalten des Kindes, etwa wenn es Trost sucht, aber gleichzeitig Nähe vermeidet. Langfristig kann dies emotionale und soziale Instabilität fördern.
Die Bindungsmuster, die wir heute kennen, wurden durch eine Untersuchungsmethode von Mary Ainsworth (1978) identifiziert. Ihre Untersuchungsmethode, die sogenannte „Fremde Situation“, basiert auf der Bindungstheorie von John Bowlby, die er in den 1950er-Jahren entwickelte.
Warum eine sichere Bindung so wertvoll ist
Die Bindung ist die Grundlage für alles, was ein Kind im Leben erreichen möchte. Sie gibt ihm die Sicherheit, die Welt zu erkunden, Beziehungen aufzubauen und Herausforderungen zu meistern. Eltern können durch liebevolle und konsistente Fürsorge eine sichere Bindung fördern – und damit die Basis für ein glückliches, stabiles Leben ihres Kindes legen.
Die Erkenntnis, wie wichtig die Bindungsentwicklung ist, sollte uns alle ermutigen, in den frühen Lebensjahren eines Kindes bewusst und achtsam mit seinen Bedürfnissen umzugehen. Denn eine sichere Bindung ist das wertvollste Geschenk, das wir einem Kind für sein späteres Leben mitgeben können. ❤️
Quellenangaben:
Ainsworth, Mary D. S./ Blehar, Mary C./ Waters, Everett/ Wall, Sally (Hg.) (1978): Patterns of attachment: A psychological study of the strange situation, Hillsdale
Bowlby, John (2018): Bindung als sichere Basis. Grundlagen und Anwendung der Bindungstheorie, München
Grossmann, Klaus E./ Grossmann, Karin (Hg.) (2015): Bindung und menschliche Entwicklung. John Bowlby, Mary Ainsworth und die Grundlagen der Bindungstheorie, Stuttgart
Hörmann, Kerstin (08.2014): Die Entwicklung der Fachkraft-Kind-Beziehung, in:.https://www.kita-fachtexte.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen/KiTaFT_hoermann_2014.pdf, Stand: 13.05.2022






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